Gewaltfreie Kommunikation im Täter-Opfer-Ausgleich

"Jemanden umbringen ist zu oberflächlich!" (M. Rosenberg)

 

Unser Rechtssystem ist auf die Bestrafung der Täter ausgerichtet, die „Opfer“ werden nicht wirklich gesehen in ihrem Schmerz und all dem, was sie erlitten haben durch die Tat.

(Ich schreibe „Opfer“, weil es letztendlich wichtig und heilsam ist, dass die Menschen, denen Gewalt angetan wurden, sich nicht mehr als Opfer, als schwach und verletzlich fühlen).

Das System besteht aus Anklage und Verteidigung. Verteidigung heißt, dass jemand, der etwas getan hat, diese Tat zu rechtfertigen sucht, am Ende sich vielleicht sogar selbst noch als „Opfer“ sieht. Dadurch wird die Chance verringert über das zu trauern, was er getan hat.

Gleichzeitig wird das, was das „Opfer“ erlebt hat, nicht wahr-genommen, gewürdigt. Man denkt, wenn der Täter verurteilt ist, empfindet das „Opfer“ Genugtuung und alles ist gut. Das stimmt so nicht. Untersuchungen aus den USA belegen, dass Angehörige von Ermordeten meinten, sie könnten Frieden finden, wenn der Mörder hingerichtet wird. Das ist nicht der Fall – das ist zu oberflächlich. Erst wenn die Trauer, der Schmerz gesehen werden, kann Frieden einkehren – bei beiden Seiten.

Der Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne der GfK läuft folgendermaßen ab:

Das „Opfer“ bekommt Einfühlung, Einfühlung, Einfühlung bis es reicht. Zunächst darf das „Opfer“ alles ausdrücken, was es empfindet, den Schmerz, die Enttäuschung, z.B. dass es sich unsicher fühlt, dass es nicht mehr schlafen kann, nach dem, was es erlebt hat, was auch immer lebendig ist. Der Täter wiederholt, was das „Opfer“ sagt und spricht in dieser Phase nicht von sich selbst, keine Verteidigung, keine Erklärung.

Das kann schon eine große Hürde sein, denn oft kann der Täter das gar nicht hören, weil er in seinem eigenen Gedankengebäude gefangen ist und sich verteidigen will, weil er es so gelernt hat. Die Aufgabe der Mediatorin bzw. des Mediators besteht darin, den Täter darin zu unterstützen das „Opfer“ wirklich zu hören.

Wenn das „Opfer“ alles gesagt hat, was es ausdrücken wollte, ist sie / er dran, den Täter zu hören, wie er / sie sich fühlt, welche Bedürfnisse bei ihm nicht erfüllt sind und bekommt die Einfühlung die er braucht.

Ich erinnere mich an eine Patientin, die von einem nahen Angehörigen vergewaltigt worden war als Kind. Sie hatte schon einige Therapien hinter sich und dadurch für sich Schuld- und Schamgefühle ablegen können und dem Täter verziehen. In einer Familienaufstellung konnten weitere Aspekte geklärt werden – und doch war noch nicht vollständig Frieden eingekehrt. Sie hatte auch immer noch ein schwieriges Verhältnis zu Männern.

Also schlug ich ihr ein Rollenspiel im Sinne des Täter-Opfer-Ausgleichs vor (Dazu muss der Täter nicht wirklich anwesend sein, in diesem Fall war dieser Mann schon vor langer Zeit gestorben.) Sie drückte zunächst ihre Trauer aus darüber aus, dass sie durch diese Handlungen ihr Vertrauen verloren hat und das Bedürfnis nach Sicherheit zu Hause nicht erfüllt war, dass sie Partnerschaften als sehr schwierig erlebt hatte und keine wirkliche Geborgenheit mit einem Mann empfinden konnte, dass sie wichtige Aspekte des Lebens nicht mit Leichtigkeit und Freude erfahren konnte.

Ich in der Rolle des Mannes gab ich ihr die Not-wendige Einfühlung, dieser Prozess dauerte ca. 45 Minuten. Danach wechselten wir die Rollen, sie wollte gerne erfahren, wie es dieser Person gegangen war. Nach weiteren 20 Minuten hatten wir den ganzen Prozess zum Abschluss gebracht, sie konnte sich mit diesem Menschen versöhnen, ohne ihren Schmerz zu verleugnen, weil er geachtet wurde.

Hier ist für mich der Unterschied zwischen Verzeihung und Versöhnung:

Verzeihung ist ein einseitiger Prozess, sie bezieht die andere Seite nicht wirklich ein – und es ist nicht notwendigerweise dazu gekommen, dass das Opfer wirklich die Einfühlung bekommen hat, nämlich die des Täters, die Not-wendig ist in dem Sinne, dass eine wirkliche Heilung geschehen kann.

Versöhnung ist ein gemeinsamer Prozess, in dem beide Seiten – und sei es auch im Rollenspiel – wahr-genommen werden, ihrem Schmerz, ihre Trauer ausdrücken dürfen über das, was geschehen ist. Dann kann Heilung im Sinne von innerem Frieden entstehen. So war es auch bei dieser Frau.