Gewaltfreie Kommunikation im Gesundheitswesen

„Nur mit dem Herzen hört und sieht man gut“ – Empathische Kommunikation in Praxis und Klinik als Grundlage der Beziehung zwischen Patienten und medizinischem Personal

Neben den medizinischen Kompetenzen, die wird in unserer Ausbildung als z.B. Ärzte, Schwestern, Psychologen, Arzthelferinnen erwerben, ist die Kommunikation ein zweiter wichtiger Faktor bei unserer Arbeit.

Das belegen Befragungen zur Patientenzufriedenheit. Patienten erwarten mehr denn je, dass sie nicht nur über ihre Krankheit und die Behandlung informiert werden, sondern auch einfühlsame Aufklärung über möglich Nebenwirkungen bei Medikamenten, körperlichen Untersuchungen oder Operationen erhalten, dass sie mit ihren Fragen und Ängsten wahr genommen werden. Das fördert auch die Compliance. Gleichzeitig beugt eine gelungene Kommunikation einem Burn-out bei den Menschen vor, die im medizinischen Bereich arbeiten, und mindert den Stress bei den alltäglichen Herausforderungen

Als Grundlage für eine empathische Kommunikation bietet sich die Gewaltfreie Kommunikation an. Die „GfK“ beruht auf den folgenden „4 Schritten“: Beobachtung, Gefühl, (un)erfülltes Bedürfnis und Bitten Diese 4 Aspekte sind die Grundlage in allen Kommunikationssituationen, gleichgültig ob es sich um Konflikte oder erfreuliche Begegnungen handelt. Es geht darum, uns die jeweilige Situation bewusst zu machen, anzusprechen und heraus zu finden, wie wir die Situation so klären können, dass beide Parteien zufrieden sind. Man könnte es als einen Weg beschreiben, wie eine „Nervensäge zum Geschenk“ wird.

Wenn wir die GfK in unserem Berufsalltag einsetzen, begegnen wir den Patienten (und Mitarbeitern) von Mensch zu Mensch. Wir lernen, gezielt Spannungen anzusprechen und so die Kooperation zu verbessern. Ein weiterer Aspekt ist, dass Sie lernen, sich selbst in Ärger- oder Frust-Situationen mit Einfühlung anzunehmen und herauszufinden,

  • welche unerfüllten Bedürfnisse dahinter stecken und Wege zu finden, sie zu erfüllen,
  • sich selbst Wertschätzung zu geben, wenn Sie sie von niemand anderem bekommen und
  • sich angemessen zu schützen.

Wir hören keine Kritik und Angriffe, sondern die unerfüllten Bedürfnisse.
Damit wird jede Kommunikation bereichernd.

Unser Dilemma ist, dass wir in der Regel über die Krankheit oder Symptome sprechen anstatt mit dem Patienten, wie er sich fühlt als Mensch, der nicht mehr der Anforderung zu funktionieren entspricht. Die Krankheit liegt wie ein Gegenstand zwischen uns auf dem Tisch, abgetrennt vom Patienten, wir schauen gemeinsam darauf als sei es etwas Fremdes, versuchen es zu reparieren und dann wieder zurück zu geben. In Wirklichkeit ist die Krankheit eine Ausdrucksmöglichkeit des Patienten zu zeigen, dass irgendwo etwas aus dem Ruder gelaufen ist.

Ich habe immer wieder beobachtet, dass Erkrankungen ein Regulations- oder Heilungsversuch sind. Wenn wir diese Möglichkeit wegnehmen ohne an die Ursache zu gelangen, wird das nächste kommen. Ich erinnere mich an eine Patientin, die über längere Zeit unter restless legs litt. Diese Beschwerden verschwanden, als sie massive Menstruationsblutungen bekam. So scheint es hier einen Zusammenhang zu geben. Wenn Patienten so etwas berichten, hören sie oft, das gäbe es nicht. Dann fühlen sie sich enttäuscht oder ärgerlich, weil ihr Bedürfnis nach Akzeptiert-werden, so wie sie kommen, nicht erfüllt ist. Gleichzeitig trifft das auf einen alten Schmerz, denn in der Regel haben wir in der Kindheit schon gelernt, dass wir nicht in Ordnung sind, wenn wir wütend waren, wenn es weh tat, nachdem wir hingefallen waren und weinten (so schlimm kann es doch nicht sein, das blutet doch nur ein bisschen).

Mit Hilfe der GFK kommunizieren wir auf einer anderen Ebene mit Menschen (auch mit uns selbst), so dass wir schnell zum eigentlichen Punkt kommen – nämlich dem Bedürfnis, das hinter der Frustration und dem Ärger steckt und dann Wege finden, dieses Bedürfnis zu erfüllen.

Zunächst ein kurzes Beispiel, wie das in der Praxis aussehen kann: Wie alle kennen den „jammernden“ Patienten: der uns wiederholt die gleiche Geschichte erzählt, niemand mag sie mehr hören. Wir fühlen uns hilflos, weil wir nicht wissen, wie wir dem begegnen können (unser Bedürfnis nach Beteiligung am Leben, Wirksam-Sein erfüllen können). Wir haben schon versucht zu behandeln mit dem, was in unserer Möglichkeit steht, haben nur wenig Zeit und kennen die Geschichte längst. Es gibt verschiedene Strategien, dem zu begegnen, von

  1. gelangweilt / geduldig zuhören,
  2. ärgerlich werden ( denken: der könnte doch wirklich sehen, dass das Wartezimmer voll ist, dass ich heute schon den ganzen Tag im OP gestanden habe, den ganzen Tag auf Station herum gerannt bin, wir sind doch so wenige)
  3. Augenrollen wenn der Patient auftaucht oder klingelt, ihn warten lassen
  4. bis hin zu den Strategie, die ich mal als Tipp gelesen habe: möglichst schnell bitten, die Zunge herauszustrecken und in den Mund zu schauen, dann gleich selbst reden (was sowohl uns als auch den Patienten entwürdigt).

 

Ein Gespräch auf der Basis der GFK könnte folgendermaßen aussehen:

Der Patient beginnt zu erzählen, ich unterbreche ihn und sage:
Ich: „Mir ist wirklich wichtig mit dem verbunden zu sein, was sie brauchen. Geht es Ihnen darum, dass sie wahrgenommen werden mit Ihren Schmerzen (z.B.), auch wenn z.B. die Laborbefunde in Ordnung sind?“
Patient: Ja, niemand nimmt mich ernst, Sie sagen, da ist nichts, ich soll mich nicht so anstellen, damit muss ich leben (o.ä.)
Ich: “Wenn ich Sie sagen höre, dass Sie niemand ernst nimmt, geht es darum, dass Sie Sicherheit brauchen, dass ich wirklich sehen kann, dass Sie sich krank fühlen, Schmerzen haben auch wenn die Laborwerte in Ordnung sind?“
Patient: Ja genau.
Ich: „Ich glaube Ihnen wirklich, dass es Ihnen schlecht geht. Gleichzeitig (nicht: aber) kann ich nichts finden, was mir einen Hinweis gibt, was ich tun könnte, ich fühle mich in Ihrem Fall ratlos. Wie geht es Ihnen, wenn Sie da hören?“
Patient: Hm, enttäuscht? Und auch erleichtert, weil ich merke, dass Sie mich ernst nehmen. Wenn Sie nicht wissen, was mir helfen kann, dann kann ich vielleicht etwas anderes versuchen. Ich danke für das Gespräch, so haben Sie mir noch nie zugehört.

Ein solches Gespräch muss nicht wirklich länger dauern als das gewohnte „Jammern“. Was ist anders an diesem Gespräch?
Ich unterbreche das „Jammern“ mit dem Ziel zu hören, was wirklich dahinter steckt, welches Bedürfnis nicht erfüllt ist. Hier (und meistens) geht es zunächst um das Bedürfnis nach Akzeptanz, so gesehen zu werden wie man ist, mit dem was man mitbringt, z.B. mit Schmerzen, für die es keine Erklärung und Therapie zu geben scheint. Weitergehend können noch andere unerfüllte Bedürfnisse dahinter stecken wie z.B. nach Ruhe und Erholung, Unterstützung, Zugehörigkeit. Das kann sich zu einem späteren Zeitpunkt zeigen und würde die Möglichkeit eröffnen, die GFK auch im Sinne von Therapie einzusetzen, wenn wir das wollen. Die Gefühle und Bedürfnisse des anderen zu sehen, nennen wir Einfühlung in der GFK. Das heißt, dass wir ganz präsent bei dem anderen sind, ohne dass wir das billigen (müssen), was er tut oder sagt.

Solange wir ein Urteil über den anderen im Kopf haben wie: “der soll sich nicht anstellen, der simuliert doch nur“, werden wir diese Verbindung nicht herstellen können.

Unter Umständen brauchen wir erst Einfühlung für uns und unsere Situation wie:
„Ich fühle mich wirklich frustriert, ich habe das schon so oft von ihm gehört und nun geht das wieder los. Ich fühle mich auch hilflos, weil ich nicht weiß, was ich tun kann, damit es ihm besser geht, ich möchte wirklich mein Bedürfnis nach Wirksam-Sein, Beteiligung am Leben (das Leben von anderen Menschen schöner zu machen) erfüllen. Ich bin traurig, denn um mir dieses Bedürfnis zu erfüllen, habe ich diesen Beruf gewählt. Und nun stoße ich an meine Grenzen. Ich weiß nicht, was ich noch tun kann, damit es ihm besser geht. Wenn ich so mit mir verbunden bin, merke ich, dass der andere vielleicht gar nicht so sehr braucht, dass ich etwas „wegmache“, z.B. seine Schmerzen, vielleicht braucht er viel mehr Einfühlung, dass ich seine Enttäuschung hören kann.“

Oder: „Ich bin auch erkältet / habe Schmerzen, wenn ich mich so anstellen würde, würde ich jetzt zu Hause im Bett liegen. Ich schleppe mich hier her, um wirklich Kranke zu behandeln und dann so jemand... Ich bin wirklich frustriert, eigentlich bräuchte ich Wertschätzung dafür, dass ich trotz meiner Erkrankung zur Arbeit gekommen bin. Ich nehme die Versorgung der Patienten sehr ernst und will auch für sie da sein und auch die Kollegen nicht unnötig belasten, die haben sowieso schon so viel zu tun. Ich merke jetzt, dass ich mir damit mein Bedürfnis nach Integrität erfülle, das heißt, dass mein Handeln mit meinen Wertvorstellungen z.B. von Kollegialität übereinstimmt und dass ich für meine Patienten da sein will. Jetzt wo ich das sehe, fühle ich mich schon besser und kann dem Patienten sagen, dass ich heute selbst krank bin und nur ganz dringende Erkrankungen behandeln will. Ich bitte ihn, für sein weitergehendes Anliegen einen neuen Termin zu vereinbaren“.

An diesem Punkt ist dann möglich, den anderen wirklich einfühlend zu hören oder zu sagen, dass ich es heute nicht kann und ihm einen anderen Termin anbieten, an dem ich mehr Zeit habe.